Mexiko, Jerusalem, Kamerun – Forster Stadtgebiete tragen ungewöhnliche Namen

Erkundigen sich auswärtige Besucher der Stadt nach dem Weg durch Forst, gibt es manchmal fragende Blicke – besonders wenn derjenige, der den Weg erklärt, den Besucher Richtung Jerusalem oder Mexiko weist. Für den Einheimischen ist es klar, daß es sich bei den beiden genannten Orten um hiesige Stadtgebiete handelt. Der Ortsunkundige dagegen fühlt sich vielleicht nicht so richtig ernst genommen. Schließlich verbindet man mit Mexiko oder Jerusalem Reiseziele weit fern von dem kleinen Städtchen Forst in der Lausitz. Doch was hat es eigentlich mit den beiden Forster Ortsbezeichnungen auf sich?

Hilfreich ist ein Blick 100 Jahre zurück. Der erste Weltkrieg ist gerade ein paar Jahre vorher beendet worden, die Folgen sind in weiten Teilen Deutschlands noch immer spürbar, so auch in Forst. 1924/1925 wollen viele Menschen das Land verlassen und auswandern. Der amerikanische Kontinent ist ein Sehnsuchtsziel. Mit Werbesprüchen wie „Zahlt bei uns ein, dann könnt ihr nach Mexiko auswandern.“ versuchen Schwindelunternehmen, die Not der Bevölkerung auszunutzen. Viele Auswanderungswillige fallen auf die Verlockungen herein, zahlen hohe Beträge an die Unternehmen in der Hoffnung, ein neues Leben in der Fremde beginnen zu können. Doch daraus wird nichts: der Leiter der Scheinfirma verschwindet mit dem angezahlten Geld. Für die Betrogenen hat sich der Traum von Mexiko nicht erfüllt.

Doch die Stadt Forst hat eine Lösung. Sie bietet den Gestrandeten für 25 Pfennig pro Quadratmeter billiges Siedlungsland am Stadtrand an. 70 Forster nehmen das Angebot der Stadt an und kaufen sich Parzellen.
Begrenzt durch die Skurumer Straße im Norden, die Triebeler Straße im Osten, Am Wasserwerk und Forstweg im Süden und die Domsdorfer Straße im Westen entsteht ein neues Wohngebiet. Das bisher noch unbebaute, mit leicht sandigen Hügeln durchdrungene Land erinnert an eine mexikanische Wüstenlandschaft. So kommen die ehemals Auswanderungswilligen doch noch nach Mexiko.

Überhaupt gab es in jenen Jahren einen regelrechten Bauboom in Forst. Dank der Textilindustrie sprudelten die Steuereinnahmen für die Stadt, die pro Einwohner sogar üben denen der Weltmetropole Hamburg lagen. Viele Menschen zog es hierher, um in den Textilfabriken Arbeit zu finden. Doch die Arbeiter brauchten Wohnraum. Die Stadt sah sich gezwungen, die steigende Wohnungsnot durch eigene Bautätigkeit zu bekämpfen. Diesseits und jenseits der Neiße entstanden viele neue Wohnobjekte. Die städtischen Baumaßnahmen belasteten jedoch auch den Stadthaushalt. Die Stadt entschied sich, die Bautätigkeiten an private Bauunternehmer und Baugenossenschaften abzugeben. Allerdings war der Platz im Stadtgebiet begrenzt, hinzu kam die Luftverschmutzung durch die vielen Fabrikschornsteine.

Baustadtrat Dr. Rudolf Kühn hatte die Idee, zukünftige Wohngebiete von den Industriegebieten zu trennen. Eines dieser neu geplanten Wohngebiete sollte im Süden der Stadt entstehen. „Eigene Scholle“ nannte sich ein 1913 von der gleichnamigen Landgesellschaft erschlossenes Siedlungsgebiet.

Kühn entwarf einen Wohnkomplex, bestehend aus 22 kubusförmigen Häusern mit jeweils 4 Wohneinheiten, beeinflusst vom Bauhausstil. Verbunden mit einer Mauer umschließen diese Häuser einen großen Garten, den die Bewohner zur Selbstversorgung nutzen sollten. Zwischen 1926 und 1927 entstand eine Bebauung, die von Außen wie eine Burg wirkt und Ähnlichkeiten mit Häusern der israelischen Stadt Jerusalem aufweist.

Blick auf „Jerusalem“ von der Spremberger Straße aus

Wie bei ähnliche Bauten in Berlin oder Stuttgart bürgerte sich recht schnell im Volksmund die Bezeichnung „(Neu)-Jerusalem“ ein – eine Bezeichnung, die ihren Ursprung im politisch rechten Lager hatte und antisemitisch eingefärbte Kritik am Neuen Baustil übte.

Blick in die Schwerin-Straße

Neben den Bezeichnungen „Mexiko“ und „Jerusalem“, die im heutigen Sprachgebrauch der Forster fest verankert sind, hat sich eine andere Ortsbezeichnung nicht bis in die heutige Zeit gehalten. In den „Monographien deutscher Städte“, Band 24 – Forst (Lausitz), wird das sogenannte „Kammerunviertel“ erwähnt, „eine Kolonie von Fabriken am oberen Teile des Mühlgrabens. (Sorauer Straße, Brühlstraße und Kaiser-Wilhelm-Straße)“.
Der auswärtige Besucher wird deshalb auch direkt in die Sorauer Straße, Planckstraße oder Max-Fritz-Hammer-Straße verwiesen.

Über Thori 147 Artikel
Blauäugiger freiberuflicher Dichter und Denker, Jahrgang 67, Kreativling, Kulturschaffender, Fotograf, Filmperlentaucher und Pfützenländer, Fleischesser und Milchtrinker; wurde als Kind mehrmals geimpft, ohne jemals daran gestorben zu sein; mehrfacher Träger der roten Mai-Nelke und Teilnehmer am Betriebskantinenessen

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